Sixt: Aufstieg und typischer Fall eines Underdogs

Ich kann mich gut an die Zeit erinnern, als die Autovermietung Sixt noch wirklich frech war.
Damals, so um 1988/89 arbeitete ich bei der Werbeagentur McCann-Erickson, die zu der Zeit für den großen Konkurrenten interrent/europcar werben musste. Jawohl: musste. Denn es war kein Spaß, immer wieder – wenn auch indirekt – zu denen zu gehören, über die sich die für Sixt zuständige Agentur SpringerJacoby so gekonnt lustig machte.
Während wir auf Anweisung des Kundenmarketing immer wieder "Deutschlands Autovermietung Nr. 1"schreiben mussten  – denn tatsächlich war unser Kunde die damals größte Autovermietung in Deutschland – wurden die Springerjacobys (später die JungvonMattens) dazu gebrieft, möglicht mit jeder Anzeige eine einstweilige Verfügung einzufangen. Also schrieben sie: "Wenn Ihnen die Nr. 1 zu teuer ist, dann wählen Sie diese", und darunter stand die zentrale Rufnummer von, nun ja, Sixt.
Und prompt regte sich bei interrent/europcar jemand auf, es gab eine einstweilige Verfügung gegen Sixt, das auch ja! niemals! wieder zu machen. Und alles, Publikum und Branche, lachte. Über unseren Kunden. Über uns. Das Schlimmste: kaum war das Lachen abgeebbt, kam das nächste Motiv und das war zwar anders formuliert, aber genauso patzig. Neue EV. Neues Gelächter. Und so weiter.
Sixt war eben tatsächlich billiger und kleiner als die großen Autovermietungen und gab sich alle Mühe, ihnen charmant ans Bein (bzw. den Reifen) zu pinkeln. Und die Mühe wurde belohnt. Sixt wurde größer und größer, die Agentur fuhr Kreativmedaillen ein und es schien keinen Halten auf dieser Erfolgsstraße zu geben.

Aber dann.

Ich weiß nicht, wann Sixt selbst Deutschlands Autovermietung Nummer 1 war. Aber ich weiß, dass nach und nach nicht mehr die Konkurrenz Ziel ihrer Frechheiten war – offenbar gab es keine Konkurrenz mehr. Es wurde zwar immer noch über den achsogünstigen Preis argumentiert, aber das verlor dann doch ein bisschen an Glaubwürdigkeit, wenn man, als möglicher Kunde, ernsthaft anfing zu vergleichen. Und der sympathische Underdog von einst musste sich neue, idealerweise "irgendwie mächtige" Opfer suchen, die tapfer und – das ist entscheidend: von unten bekläfft werden konnten. Die Ideen waren (und sind) zum Teil fantastisch – und zwar immer dann, wenn es nicht um den Preis geht. Das wird vor allem bei Politikermotiven klar, die, wie man sieht, bis heute heiter Spaß machen.

So ärgerte Sixt Oskar Lafontaine. Der klagte und verlor.

So machte Sixt mehr aus Angela Merkel. Alles freute sich.

So kommtierte Sixt jüngst Berlusconi. Das passte prima.

Allerdings wurde es spürbar schwieriger. Und im Mehr und Mehr von Medien und Botschaften drohte die einst unübersehbare rotzige Sixt-Werbung immer unauffälliger zu werden, austauschbarer, immer noch aggressiv, oft war man nurmehr Hecht im Hechtteich.

Auch aus eigener Erfahrung weiß ich, wieviel Energie die zuständige Agentur auf der Suche nach dem nächsten großen Ding verschwendet, und wieviele gute Ideen nie das Licht der Öffentlichkeit erblicken, weil der Kunde und/oder die Agentur sie nicht für groß genug halten.

Um so erstaunter und auch erschütterter war ich, als sich im Internet plötzlich ein Motiv verbreitete, von dem ich kaum glauben mochte, dass hier wirklich Sixt der Absender ist.
Dem eben nach sieben Jahren aus der geschlossenen Psychiatrie entlassenen Gustl Mollath wurde ein Zitat untergeschoben, dem zufolge der einzig Verrückte "der Sixt mit seinen Preisen" wäre.

Bei der ersten Veröffentlichung stand das "Zitat"
gar noch in Anführungszeichen.
Da ist man inzwischen schon zurückgerudert.

Und da stimmt nun gar nichts mehr.
  • Die verrückten Preise von dem Sixt sind, wie erwähnt, vollkommen marktüblich und im Vergleich mit vielen kleinerern Anbietern auch durchaus hoch.
  • Natürlich hat man Gustl Mollath nicht gefragt und sich dafür auf das Argument zurückgezogen, er wäre eine Person öffentlichen Interesses. Dem aufkommenden Shitstorm versuchte man nachträglich noch damit zu begegnen, dass man ihm ein Honorar anbieten würde. (Sein Anwalt ist übrigens Gerhard Strate: da kann sich die Gegenseite schon mal warm anziehen.)
  • Dass das Motiv allüberall für Aufregung sorgte, schrieb man sich (auch und gerade bei der Agentur) als "gelungene PR" auf die Fahnen.

    Zynisch oder doof? Eigentlich ganz egal.
    (So gesehen, hat ja auch das Unternehmen TEPCO mit der unbedeutenden Reaktorpanne in Fukushima nichts weiter als gelungen PR betrieben. Diese Firma kennt inzwischen jeder.)
  • Das Prinzip, sich von unten über oben lustig zu machen, ist endgültig verlassen worden. (Ohne Schuld oder Unschuld, Verrücktheit oder Normalität von Herrn Mollath näher beurteilen zu wollen:)  Hier trampelt ein großes Unternehmen auf einer Einzelperson herum, die gerade versucht, sich aus dem Dreck zu wühlen, in dem sie jahrelang drinsteckte. 
Und damit wird es ganz grundsätzlich: Sixt ist in die unausweichbare Falle gelaufen, in die jeder geht, der sich von unten nach oben gearbeitet hat: Wohin soll er noch? Und mit einem Mal ist die Sixt-Werbung nicht mehr zum Lachen, sondern bestenfalls lächerlich.

Ich greife mal (wie Sixt) ein Bild aus der Politik auf: Als Gerhard Schröder noch nicht Kanzler war, rüttelte er am Zaun des Kanzleramts und rief, hier wolle er rein. Das war albern, aber sympathisch. Und das kriegte gute Presse.
Stellen wir uns mal vor, Frau Merkel stünde vorm Kanzleramt und rüttelte an der Tür, sie wolle unbedingt rein. Nun ja, dann würden wohl Volk und Presse mutmaßen, dass sie mindestens so verrückt wäre wie der Sixt mit seiner Reklame.

Um meinen, zugegeben, recht langen Text, auf einen kurzen Punkt zu bringen, zitiere ich Stephan Rebbe, Mitinhaber der auch recht erfolgreichen Hamburger Agentur Kolle Rebbe. Zu dem Mollath-Motiv sagte er nur : "Scheisse." 

Also, Erich Sixt, wo soll's denn hingehen?

KLEINES UPDATE:
Nach dem vorgestern und gestern im Netz aufgebrausten Shitstorm hat Herr Sixt sich – laut Presserklärung vom 13.August 2013 – mit einem persönlichen Brief bei Herrn Mollath entschuldigt. (Es ist mir nicbt bekannt, ob Herr Mollath Herrn Sixt entschuldigt hat.)
Die Anzeige wurde jedenfalls offiziell zurückgezogen. 




Oben links steht's: das war gar keine Werbung.
Das war Satire.
Na, dann hab ich nichts gesagt.

 

Etwa zeitgleich schrieb der SEO von Sixt, Peter Erkinger, per Mail Intenet-Medien an, die über den Fall berichtet hatten und bat sie, das Motiv doch bitte auch im Bild zu zeigen.
 

Das versteh' wer will – m. E. zahlt es auf genau meine These von der Orientierungslosigkeit dessen ein, der so weit oben ist, dass ihn schwindelt.

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